Differenzierte Konfliktbehandlung

Es gibt kein universell einsetzbares Konfliktbeilegungsverfahren. Je nach Vorgeschichte, Umfeld und Eskalationsgrad des Konflikts, Verhandlungskompetenz, Bedürfnissen, emotionaler und wirtschaftlicher Situation der Parteien sowie Art und Bedeutung des Streitgegenstands bieten sich vielmehr unterschiedliche Herangehensweisen an. Dem trägt das Güterichterkonzept mit seinem methodenoffenen Ansatz (s. § 278 Abs. 5 Satz 2 ZPO: „alle Methoden der Konfliktbeilegung“) Rechnung. Er erfordert, dass der Güterichter bereits vor Beginn, aber auch fortlaufend während des Verfahrens prüft, welche Methode den jeweiligen Gegebenheiten am besten entspricht (Art, Geschichte, Eskalationsgrad des Konflikts, Sach- oder Beziehungsthematik, Kommunikations- und Autonomiefähigkeit der Parteien usw.).

Die Wahl der Methode trifft der Güterichter in Abstimmung mit den Parteien. Wichtig ist die Transparenz des Verfahrens: Die Parteien müssen wissen, welche Methode praktiziert wird, und damit einverstanden sein. Über die wichtigsten Verfahrensregeln und die Rollen der Beteiligten müssen sie informiert sein. Es empfiehlt sich, die Abstimmung bereits in der Vorklärungsphase (s. Thema ‚Verhandlungsvorbereitung‘) vorzunehmen und während des Verfahrens erneut anzustoßen, sobald Zweifel an der Sachgerechtigkeit der bisherigen Herangehensweise aufkommen.

In Betracht kommen insbesondere folgende Methoden:

Vermittlung

Hier beschränkt sich die Rolle des Güterichters darauf, eine sachbezogene Kommunikation zwischen den Parteien zu ermöglichen, Verständnis für die jeweils andere Position zu entwickeln und eine streitige Entscheidung entbehrlich zu machen (häufig bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten).

Konfliktmoderation

Stehen sich Parteien mit gegensätzlichen Positionen gegenüber, kann der Güterichter mit einer am Harvard-Konzept orientierten Verhandlungsleitung deren Annäherung fördern und eine Verständigung, ggf. im Wege gegenseitigen Nachgebens (§ 779 BGB), herbeiführen. Wie bei der Vermittlung ist es seine Aufgabe, die Verhandlung zu strukturieren, auf eine zielführende Kommunikation hinzuwirken und persönliche Angriffe zu verhindern. Je nach Verhandlungsverlauf bringt er aber auch Denkanstöße, Bewertungskriterien und Lösungsvorschläge ein, zeigt Nichteinigungsalternativen auf oder leitet eine Prozess­risi­koanalyse. Auf Wunsch der Beteiligten kann dies auch im Wege einer Shuttle-Diplomatie (d.h. durch Kommunikation der Ergebnisse von Einzelgespräche), telefonisch oder durch Online-Kommunikation geschehen.

Derartige Konfliktlösungshilfen kommen insbesondere dort in Betracht, wo weder Beziehungsstörungen aufzuarbeiten oder Zukunftsgestaltungen zu entwickeln sind, also z.B. bei streitigen Zahlungsansprüchen aus Austauschverträgen oder Schadensfällen.

Mediation

Hier unterstützt der Güterichter die Parteien beim Erarbeiten einer eigenverantwortlichen Lösung, indem er sie in einem strukturierten Verfahren (Themensammlung, Interessenklärung, Entwickeln und anschließendes Bewerten von Lösungsoptionen) veranlasst, den Blick von den Positionen wegzulenken und auf ihre wirklichen Interessen, Anliegen und Bedürfnisse zu richten. An die Stelle der gesetzlichen Folgen vergangener Vorkommnisse tritt die konstruktive Selbstregulierung. Es geht nicht mehr um Obsiegen oder Unterliegen, auch nicht um Kompromisse im Wege gegenseitigen Nachgebens, sondern um kreative Lösungen, die den Interessen beider Seiten im größtmöglichen Umfang entsprechen.

In der Mediation kommen besondere Kommunikationsmethoden zum Einsatz, die den Perspektivenwechsel, das Bewusstwerden unerkannter Lösungsoptionen und das Beheben von Beziehungsstörungen ermöglichen. Mit Einverständnis der Parteien können auch vertrauliche Einzelgespräche geführt werden.

Mediation kommt deshalb hauptsächlich dort in Betracht, wo zwischen den Parteien eine engere persönliche oder geschäftliche Beziehung besteht (z.B. familien- oder erbrechtliche Konflikte, Miet-, Kooperations- oder Arbeitsverträge, Nachbar-, Wohnungseigentümer- oder Gesellschafterstreitigkeiten).

Klärungshilfe

Anders als bei der Mediation führt der Vermittler die Parteien hier nicht über Themensammlung, Interessenklärung und die Suche nach Lösungsoptionen zur Einigung, sondern dadurch, dass er sie veranlasst, in aller Offenheit und schonungslos in durchaus streitiger Verhandlung ihre Sichtweisen, Gefühle und Botschaften unmittelbar zum Ausdruck zu bringen. Ziel dieses durch Kommunikationstechniken des Vermittlers gelenkten Austauschs ist die Klärung der Beziehungsebene. Stellt diese sich bei den Beteiligten nicht von selbst ein, indem sie die Konfliktursachen und die eigenen Anteile daran erkennen, bietet der Vermittler aus seiner neutralen Außenperspektive Erklä­rungen an, denen alle zustimmen können. Nach Klärung der Beziehungsebene bereitet die anschließende Suche nach zukunftsfähigen Lösungen in der Regel keine großen Schwierigkeiten mehr.

Die Methode der Klärungshilfe lässt sich besonders gut bei innerbetrieblichen Kon­flikten sowie bei Gesellschafter-, Nachbar- und Erbstreitigkeiten einsetzen. Für das Güterichterverfahren eignet sie sich oftmals besser als die Mediation, weil sie auf eine unmittelbare Klärung der Beziehungsebene gerichtet ist und die häufig nicht weiter­führende Interessenklärung erspart.

Schlichtung

Hier unterbreitet der Güterichter einen Lösungsvorschlag, wenn die Parteien nicht aus eigener Kraft zu einer Lösung finden.  Der Vorschlag kann sich – je nach Vereinbarung mit den Parteien – am Recht, an der Interessenlage oder an der Billigkeit orientieren. Er bindet die Parteien zwar rechtlich nicht, bietet jedoch oftmals eine wertvolle Grundlage für die weiteren Verhandlungen.

Da das Schlichtungsverfahren auf eine Drittentscheidung gerichtet ist, hat es eine völlig andere Struktur als Moderation und Mediation. Der Schlichter muss sich die Grundlagen für seine Entscheidung verschaffen und deshalb aktivere Sachverhaltsklärung betreiben.

Evaluation

Der Güterichter kann auch damit beauftragt werden, eine Bewertung der ihm unterbreiteten, evtl. auf Nachfrage präzisierten Parteistandpunkte vorzunehmen, d.h. zu erklären, wie er nach seiner subjektiven, auf dem begrenzten Erkenntnisstand des nicht förmlichen Güteverfahrens beruhenden Einschätzung, ohne präjudizielle Wirkung für die Entscheidung des zuständigen Gerichts, die Prozessaussichten bewertet. Die Parteien können dadurch zu einer realistischeren Lagebeurteilung und größerer Vergleichsbereitschaft gelangen.

Mini Trial

Hierbei handelt es sich um eine perfektionierte Form der Evaluation, die zugleich die Selbstregulierungskräfte der Beteiligten weckt. Der Güterichter lässt die Anwälte der Parteien in einer simulierten Gerichtsverhandlung, an der die Entscheidungsträger der Parteien als Zuhörer teilnehmen, ihre Argumente mündlich vortragen. Bevor er seine Bewertung abgibt, bietet er den Parteien Gelegenheit zu bilateralen Verhandlungen. Diese führen unter dem Eindruck des erlebten Diskurses häufig sehr rasch zu einer Einigung.

Schiedsverfahren

Der Güterichter kann nicht zum Schiedsrichter i.S.d. §§ 1025 ff. ZPO bestellt werden. Beim Schiedsgerichtsverfahren handelt es sich nicht um eine „Methode der Konfliktbeilegung“, sondern um die Institutionalisierung einer an die Stelle der staatlichen Gerichtsbarkeit tretenden Entscheidungsinstanz.

Der Güterichter kann aber im Auftrag der Parteien die verbindliche Klärung einer Streitfrage übernehmen  (z.B. die Auslegung einer Willenserklärung) oder eine Leistungsbestimmung zu treffen. Es gelten dann §§ 317 ff. BGB (analog). Für die Leistungsbestimmung können die Parteien ihm einen Rahmen vorgeben oder vereinbaren, dass von ihren verdeckt abgegebenen „letzten Angeboten“ dasjenige als vereinbart gilt, welches der vom Güterichter getroffenen Bestimmung am nächsten kommt (sog. Last-offer-Verfahren).

Der Güterichter kann die Parteien auch veranlassen, die Klärung einer Tatsachenfrage (z.B. Zustand eines Bauwerks, Wert eines Grundstücks)  durch einen Schiedsgutachter vornehmen zu lassen.

Verteilungsverfahren

Geht es im Konflikt um die Aufteilung einer Sachgesamtheit (z.B. Nachlass, Hausrat, Gesellschaftsvermögen) kann der Güterichter ein standardisiertes Verteilungsverfahren vorschlagen und leiten (z.B. Abwechselnd auswählen; Versteigerung; adjusted winner-Verfahren; Losverfahren).

Kombinierte Methoden

Der Güterichter kann auch Elemente verschiedener Verfahrensarten miteinander kombinieren oder von einer Methode zu einer anderen übergehen, sofern dies offen gelegt wird und die Beteiligten damit einverstanden sind.

Mediation kann der Güterichter allerdings nicht mehr praktizieren, wenn er bereits eine Bewertung vorgenommen, z.B. einen Schlichtungsvorschlag unterbreitet und dadurch seine Allparteilichkeit aufgegeben hat.

Ein Bewertungs- oder Entscheidungsverfahren setzt voraus, dass die Grundlagen allen Beteiligten bekannt sind. Haben, etwa im vorangegangenen Vermittlungsverfahren, vertrauliche Einzelgespräche stattgefunden, muss geklärt werden, ob der Güterichter Erkenntnisse hieraus verwerten darf.