Falsches Forum

25.08.2022

In einer Artikelserie der Süddeutschen Zeitung über „Traumjobs“ schilderte eine Zivilrichterin, warum sie ihre Tätigkeit trotz der vergleichsweise geringen Bezahlung und der oft hohen Arbeitsbelastung so schätzt: wegen der großen Abwechslung und weil die Fälle mitten aus dem Leben kommen. Dann berichtete sie über einen Fall, der zu denken gibt.

Es ging dort um eine Schmerzensgeldklage zwischen zwei betagten Brüdern: Der jüngere hatte dem älteren eine Kopfnuss verpasst und die Nase gebrochen. Der Richterin sei gleich klar gewesen, dass hinter diesem Fall „mehr steckt, als man auf den ersten Blick denkt“. In der Verhandlung seien dann auch jahrelange Familienstreitigkeiten um Erbe, Grundstücke und Geld zutage getreten. Diese Probleme seien zwar in eineinhalb Stunden nicht zu lösen gewesen, aber sie habe zu einem Vergleich geraten, dem beide zugestimmt haben. Demnach hat der tätlich gewordene Bruder Schmerzensgeld zu zahlen, allerdings deutlich weniger, als der andere sich erhofft hatte. Und am Ende habe sie den beiden geraten: „Versuchen Sie am besten, sich aus dem Weg zu gehen“.

In einer Güterichterverhandlung wäre hier sicher mehr zu erreichen gewesen. Es ist erstaunlich, dass diese Option selbst bei solchen Richtern nicht in den Blick gerät, die erkannt haben, dass es in ihren Fällen oft um menschliche Beziehungen und nicht nur um Rechtsansprüche geht. Offenbar reicht es nicht aus, solche Optionen in das richterliche Verfahrensermessen zu stellen. Es müsste durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen dafür gesorgt werden, dass Fälle wie dieser nicht beim Prozessgericht, sondern beim Güterichter verhandelt werden.

SZ v. 24.8.2022, S. 15